Stellungnahme der Infamous Youth zur Unterzeichnung des Ethik-Kodex
Wir werden den vom Vorstand vorgelegten Ethik-Kodex unterschreiben. Uns ist bewusst, dass dieser Schritt für Außenstehende überraschend und wie eine Kapitulation vor den angedrohten Sanktionen durch den Vorstand wirken könnte. Um Eindrücke dieser Art zu widerlegen und die Gründe für unsere Entscheidung nachvollziehbar zu machen, soll im folgenden auf die Entwicklungen der letzten Wochen eingegangen werden.
Die Ausgangsposition sollte den meisten bekannt sein: Gegen Ende des letzten Jahres begann der Vorstand, einen Werder-Fan-Ethik-Kodex an die registrierten Fanclubs zu verschicken. Diesem sollte durch die Unterzeichnung des beigelegten Formulars zugestimmt werden, um „ein Zeichen gegen Gewalt und Diskriminierung im Fußball“ zu setzen. Die insgesamt fünf Absätze verpflichten den Unterzeichner sich respektvoll gegenüber allen relevanten Akteuren eines Bundesligaspiels zu verhalten. Ausdrücklich erwähnt wird die Distanzierung von Gewalt und jeder Form von Diskriminierung. Fanclubs und Fangruppierungen, die nicht bereit sind, den Kodex zu unterzeichnen und einzuhalten, werden „Vergünstigungen im Rahmen von Dauerkarten, Karten für Auswärtsspiele, Arbeitskarten und andere Unterstützungen durch Werder Bremen“ nicht erhalten bleiben.
Bei den aktiven Gruppen stieß das Schreiben sofort auf große Skepsis. Nachdem mit dem Überhängeverbot der Business-Logen bereits ein weiteres Stück der ohnehin sehr begrenzten Freiheit in der Ostkurve genommen wurde, las die Mehrheit der Aktiven den Kodex als das potentielle Ende jeglicher autonomen Ansätze. Die grundlegende Kritik an dem Schreiben bezog sich vor allem auf die mangelnde Bestimmtheit der paragrafenartig verfassten Absätze. Durch eine entsprechende Auslegung wäre es dem Vorstand möglich, verschiedenste Verhaltensweisen, die grundsätzlich einen harmlosen Bestandteil des Spieltages darstellen, als Verstoß gegen den Kodex zu identifizieren und zu sanktionieren. Angesichts der im Verhalten des Vorstandes festzustellenden Tendenz, die Ultra‘-Szene immer restriktiver zu behandeln, wäre ein Szenario dieser Art für die Meisten wenig überraschend gewesen. Zudem widersprach die Vorgehensweise des Vorstandes entschieden unserem Selbstverständnis. Der Kodex wurde ohne jegliche Einbindung der Ultra‘-Szene entworfen und uns zunächst ohne die Aussicht auf Verhandlungen unter Androhung von Konsequenzen bei Nichtunterschrift vorgelegt. Selbstverständlich sahen wir uns unter diesen Umständen nicht in der Lage, den Kodex zu unterzeichnen, zumal auch die grundsätzliche Idee, nämlich das Verhalten der Zuschauer durch eine vertragsähnliche Vereinbarung zu normieren, sehr befremdend wirkte. So ging es verhältnismäßig pessimistisch in die Saison 2008/2009. Protestaktionen wurden geplant und sich auf das Schlimmste eingestellt.
Allerdings kam es während der Sommerpause zu Gesprächen zwischen Vertretern der Ultra‘-Szene und dem Vorstand. Dieser erklärte sich bereit, den Gruppen entgegenzukommen. Ein Forderungskatalog wurde verhandelt, den wir als Grundlage für ein besseres Verhältnis mit dem Vorstand verstehen. Er räumt uns minimale zusätzliche Freiheiten ein, verbessert jedoch vor allem die Möglichkeiten, kommunikativ mit der Geschäftsführung in Kontakt zu treten. Diese Zugeständnisse veranlassten uns, von der Entscheidung, den Kodex nicht zu unterzeichnen, abzurücken. Wir sind der Auffassung, dass durch den regelmäßigen Austausch mit dem Vorstand eine nachhaltige Verbesserung unserer Lage geschaffen werden kann. Dies setzt natürlich voraus, dass der ausgehandelte Kompromiss eingehalten wird. Für den Fall einer Nichteinhaltung sehen wir uns nach wie vor in der Lage, die Unterschrift zu widerrufen und darauf auf verschiedenste Art und Weise aufmerksam zu machen.
Wir haben uns zunächst jedoch entschieden, nach Jahren des gegenseitigen Argwohns, den ausgearbeiteten Kompromiss anzunehmen und eine zukünftig konstruktivere, gleichberechtigtere Zusammenarbeit mit dem Vorstand anzustreben.
Infamous Youth, im August 2008