Wir unterstützen den Aufruf der Kampagne #hartbackbord gegen die europäische Grenzpolitik, den wir im folgenden dokumentieren möchten:
#hartBackbord
Widerstand dem Grenzregime
Tausende Menschen sterben im gefährlichsten Meer der Welt, dem Mittelmeer. Nicht weil es dort gefährliche Strömungen oder tropische Stürme gibt, nicht wegen marodierender Freibeuter*innen oder einem tobenden Krieg, sondern allein auf Grund unterlassener Hilfeleistung der europäischen Staaten. Sie schotten ihre Grenzen gegen die nach Europa Flüchtenden immer stärker ab. Mit verschiedenen Grenzbefestigungsanlagen auf der Balkanroute, verstärkten Grenzen an ihren afrikanischen Enklaven, dem perfiden Flüchtlingsabkommen mit Diktator Erdoğan, bleibt kein sicherer Fluchtweg in die EU. Das europäische Grenzregime treibt so Flüchtende auf das offene Meer und in die Arme libyscher Milizen. Das Leid in den Lagern dieser Milizen ist unermesslich. Es werden Lager in Libyen akzeptiert und sogar finanziert, in denen Menschen reihenweise umgebracht werden – selbst in der deutschen Diplomatischen Korrespondenz wird von »KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen«1) gesprochen. Die aktuelle Politik der europäischen Regierungen ist verantwortlich für jeden einzelnen dieser Toten im Meer, für jede einzelne Vergewaltigung in den libyschen Lagern und für jede und jeden Toten auf dem Weg durch die Sahara. Es wird Zeit, dass wir sie dafür zur Rechenschaft ziehen.
Nach dem Schiffsunglück mit über 300 Toten vor Lampedusa 2013 gab es erst öffentliche Empörung und daraufhin für gut ein Jahr die italienische Rettungsmission »Mare Nostrum«. Diese wurde aus »Geldmangel« gestoppt. Es war für die reichsten Länder der Welt nicht möglich, die knapp zehn Millionen Euro im Monat aufzubringen,um Seenotrettung zu betreiben. Slowenien war der einzige andere Staat, der sich mit einem Schiff beteiligte, die EU übernahm nach vielen Bitten Italiens ganze 1% der Kosten, woraufhin Italien die Seenotrettung einstellte und die Zahl der Toten im Mittelmeer auf das Zehnfache stieg. Gut, wofür wird dann das Geld ausgegeben? Die Bundesregierung hat beispielsweise nach den Ausschreitungen in Hamburg für die Schäden an Autos und Einzelhandel 40 Millionen zur Verfügung gestellt, unkomplizierte schnelle Entschädigung. Welcome to Deutschland, abgebrannte Autos haben hier mehr Wert als Menschenleben. Frei nach dem Motto: »Kill the poor«. Wir hassen euch dafür.
Das Vakuum, welches durch das Ende der europäischen Rettungsmission entstanden ist, wurde von mutigen Menschen gefüllt, welche die staatliche Aufgabe der Seenotrettung übernommen haben. Wir haben den größten Respekt vor euch! Ihr habt das Leid erkannt und euch organisiert,um direkte Hilfe zu leisten. Wir fanden es erschreckend und scheiße, dass ihr die staatlichen Aufgaben übernehmen musstet. Wir haben das kritisiert, aber nun ist eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Ihr werdet mit Repressionen überzogen. Es wird auf allen Ebenen versucht, eure Hilfe zu unterbinden. Der Staat arbeitet mit Nazis, um euch zu delegitimieren und eine erfolgreiche Seenotrettung zu unterbinden. Es werden Schiffe beschlagnahmt. Die italienische Regierung macht sich zu direkten Gehilfen der faschistischen Identitären. Die angeblichen Beweise für die Beschlagnahmung des Schiffes stammen von einem V-Mann mit direkten Verbindungen in das italienische faschistische Milieu. Das widert uns an. Libysche Milizen werden zu »Küstenwachen« verklärt und mit umfangreichen finanziellen sowie technischen Mitteln ausgestattet. Das ist unerträglich. Diese Politik ist unerträglich. Wir sind wütend. Wir sind voller Hass.
Die militärische Mission »Sophia« zur Bekämpfung der Schleuser ist explizit keine Rettungsmission, es geht nur um eine Unterbindung der Flucht in die EU, angeblich insbesondere durch die Bekämpfung der Schleuser. Halbwegs sichere Schiffe werden versenkt. Es besteht dann keine andere Möglichkeit, als mit unsicheren Schlauchbooten den Versuch zu wagen, das Meer zu überqueren. Die ausweglose Situation in Libyen treibt die Menschen in seeuntaugliche Boote, und wenn das nicht als Anreiz genügt, werden sie mit Waffengewalt gezwungen. Viele Überlebende sprechen davon, dass Sie mit dem Wissen, zu sterben, auf das Meer hinaus gefahren sind. Nur wenige hatten das Glück,von privaten Seenotrettungsinitiativen gerettet zu werden. Viele Überlebende verdanken diesen Initiativen ihr Leben. Werden von der europäischen Mission doch einmal Menschen aus Seenot gerettet, ist das quasi ein Kollateralschaden.
Bereits vor dem arabischen Frühling hatte Italien im Zuge der gemeinsamen Grenzsicherung Leichensäcke an Libyen geliefert. Nach Gaddafis Sturz mussten Alternativen her. Bewaffnete Banden aus Libyen waren zur Stelle und nahmen bereitwillig Geld und Technik entgegen. Die europäischen Schiffe ziehen sich nun immer weiter zurück und die libysche »Küstenwache« übernimmt zunehmend die Aufgabe der europäischen Abschottung gegen Menschen. Die Überfahrt nach Europa wird mit allen Mitteln unterbunden. Es gibt illegale Push-backs, auf Flüchtende wird geschossen und sie werden in Lager in der Wüste verschleppt. Dort werden Sie zum Sterben sich selbst überlassen, sie werden vergewaltigt und ermordet. Alles mit Mitteln der EU finanziert und unterstützt. Die historischen Kontinuitäten sind gewahrt.Es sind neue Partner im Kampf gegen die Flüchtenden gefunden und hierbei sind offensichtlich alle Mittel recht. Den libyschen Milizen wird freie Hand gelassen, Hauptsache weniger Menschen schaffen es nach Europa.
Dass wir auf diesen Staat und diese Gesellschaft nicht zählen können, ist nichts Neues. Aber wenn dieser Staat mutige Menschen, die Leben retten, mit Repressionen überzieht und Seenotrettung durch Beschlagnahmung von Schiffen unterbindet, wird einmal mehr deutlich,in welch perfiden Verhältnissen wir zur Zeit leben müssen. Sichere Fluchtwege und ein Ende der Abschottungspolitik wären ein wichtiger politischer Schritt der bürgerlichen Gesellschaft um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Diese werden, jedoch nicht kommen, nicht mit der aktuellen Politik, nicht in dieser Gesellschaft, nicht im Kapitalismus.
Es ist an uns, Geflüchtete zu unterstützen. Es ist an uns, für eine Teilhabe an Bildung einzustehen. Es ist an uns, für ein Recht auf selbstbestimmtes Wohnen von Geflüchteten zu kämpfen. Es ist an uns, Schutzehen einzugehen. Es ist an uns, Fluchthilfe zu organisieren und zu leisten. Es ist an uns, mit vielfältigen Aktionen den Fokus auf die Schuldigen zu richten. Es ist an uns, zu zeigen, dass wir mit dieser verlogenen Scheißpolitik nicht einverstanden sind. Es ist an uns, Ihnen mit allen Mitteln zu zeigen, dass ihre Handlungen nicht ungestraft bleiben.
Es ist an uns, praktische Solidarität zu organisieren.
Es ist an uns, das Grenzregime zu sabotieren, wo es nur geht
1) »KZ-ähnlichen Verhältnisse« wird zum Synonym für abstrakt »wirklich schlecht« und »böse« und reflektiert kaum mehr die Funktion und Ideologie hinter den nationalsozialistischen, deutschen Konzentrationslagern. Wir nehmen an, dass eine deutsche Diplomatische Korrespondenzen ganz geschichtsvergessen überhaupt keinen Begriff davon hat, was sie damit meinen. Wir teilen eine solche begriffliche Beschreibung nicht. // Zitat-Quelle