Moin Werderfans!
Bei den letzten drei Auswärtsspielen in Hamburg sind Teile der Ultras des SV Werder von der Polizei daran gehindert worden, ins Stadion zu gelangen. Die Vorfälle beim letzten Derby stellen für uns den vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung der letzten 10 Jahre dar. Um diese Entwicklung für alle Werderfans transparent und verständlich zu machen, wenden wir uns hiermit an euch.
Bis Ende der 2000er Jahre verlief die Anreise durch Werderfans nach Hamburg nach folgendem Schema:
– Anreise per Zug nach Hamburg HBF
– Weiterfahrt per S-Bahn zur Haltestelle Stellingen
– Im Wanderkessel der Polizei zu Fuß zum Gästeblock
Im Rahmen dieser Anreise kam es jedes Mal rund um die Haltestelle Stellingen zu Angriffen von einzelnen HSV-Fans durch Wurf von Flaschen und sonstigen Gegenständen. Aufgrund des Umstands, dass die angereisten Werderfans von der Polizei eingekesselt waren, gab es keine Möglichkeit, sich der Gefahr durch die fliegenden Gegenstände zu entziehen. Die Enge im Polizeikessel in der Unterführung der Haltestelle Stellingen, das hohe Risiko jederzeit schwer verletzt werden zu können – dieses Szenario wiederholte sich von Jahr zu Jahr.
Die Polizei Hamburg entwickelte zur Saison 2008/2009 ein neues Anreisekonzept, welches vorsah, Werderfans in Hamburg-Harburg aus dem Zug zu ziehen, dort in eine S-Bahn nach Othmarschen und von dort wiederum in Shuttle-Bussen zum Stadion zu transportieren. Dieses Konzept wurde in Harburg vom Einsatzleiter unter Androhung von „einfacher körperlicher Gewalt“ schon beim ersten Mal durchgesetzt. Von Beginn an stieß dieses Konzept bei großen Teilen der Bremer Fanszene auf Ablehnung. Die Vermeidung vom Bahnhof Stellingen wurde lediglich als Problemverschiebung wahrgenommen. Die Shuttle-Busse mit ihrem Charakter eines Viehtransports, der schweren Zugänglichkeit für Rollstuhlfahrer*innen und der großen Angriffsfläche, der man bei einer mögliche Attacke schutzlos ausgeliefert gewesen wäre, waren keine zufriedenstellende Alternative.
Am 7. Mai 2009 kam es nach dem Spiel im UEFA-Cup-Halbfinale zu einem Angriff auf die Shuttle-Busse mit Werderfans und Ultras. HSV-Fans entglasten Front- und Seitenscheiben mit Steinen, welche zudem Insass*innen der Busse am Kopf trafen. Es folgten brennende bengalische Fackeln und Böller. Die durch die Bremer Fanszene geäußerte Kritik an diesem Anreisekonzept hatte sich also bereits nach kurzer Zeit als berechtigt dargestellt. Das von der Polizei erarbeite Anreisekonzept konnte (wie bereits in den Jahren zuvor in Stellingen) die sichere An- und Abreise der Gästefans nicht gewährleisten. Über verschiedene Kanäle kommunizierte Vorschläge zu alternativen Anreiserouten wurden von der Hamburger Polizei konsequent ignoriert.
Infolge dieses Vorfalls und der mangelnden Kompromissbereitschaft der Hamburger Polizeiführung beschloss die aktive Fanszene, sich diesem Anreisekonzept nicht mehr auszusetzen.
Im Dezember 2009 reisten daraufhin über 200 Ultras ohne Polizei und störungsfrei auf einem alternativen Anreiseweg zum Stadion. Diese erste alternative Anreise stellt ein gelungenes Beispiel einer Ankunft am Stadion ohne jeglichen Zwischenfall dar.
In den folgenden Jahren gelang es der aktiven Fanszene immer wieder auf verschiedenen Wegen nach Hamburg zu fahren. Auch die Anreise über die Autobahn stellte für die Polizei Hamburg damals noch kein Problem dar. Zwar wurde man von der Autobahnabfahrt zum Stadion begleitet, aber Probleme auf dem Weg dorthin gab es nicht.
Auch im Jahr 2014 fuhren Teile der Ultràszene des SV Werder auf einem alternativen Weg zum Stadion, als an der S-Bahn-Haltestelle Diebsteich Fans des HSV eine S-Bahn mit Werder-Ultras angriffen. Entgegen der Darstellung der Polizei Hamburg handelt es sich in keiner Weise um eine „verabredete Schlägerei“. Uns ging und geht es nach wie vor darum, das Stadion als Gruppe störungsfrei zu erreichen, ohne von der Polizei drangsaliert zu werden.
Beim darauf folgenden Auswärtsspiel im April 2016 reisten Teile der Ultràszene mit dem Bus zum Spiel in Hamburg. Bereits auf der Autobahn wurden die Busse der Ultras von einem großen Polizeiaufgebot abgefangen und auf das naheliegende Zollgelände begleitet. Es folgte eine im Voraus geplante Großkontrolle. Polizeikräfte in hoher Anzahl, bereits anwesende Presse und aufgestellte Leuchtstrahler warteten bereits auf die Busse. Die anwesenden Personen mussten verschiedene Schikanen über sich ergehen lassen. Noch bevor den Insass*innen der Busse mitgeteilt wurde, dass sie das Spiel an diesem Tag nicht sehen würden, konnten sie dies bereits der Presse entnehmen – und das obwohl die Kontrollen noch nicht abgeschlossen waren. Der Beschluss der Polizeiführung, die Gruppe nicht ins Stadion zu lassen, muss also schon vorher festgestanden haben.
Beim folgenden Spiel wollten sich die Fans nicht entmutigen lassen und traten erneut die Reise nach Hamburg an – in der Hoffnung, das Derby dieses Mal besuchen zu können. Am S-Bahnhof Ellerau, wo die Gruppe anreisender Ultras mit der S-Bahn weiter Richtung Stadion fahren wollte, entstand schnell der Eindruck, dass das Ziel nicht ohne Polizeibegleitung erreicht werden kann – denn der S-Bahn Fahrer weigerte sich los zufahren. Da der Anreiseweg bis zu diesem Zeitpunkt vollkommen friedlich verlief, hätte keine der anwesenden Personen mit einer weiteren Großkontrolle gerechnet. Als kurz darauf die Polizei den S-Bahnhof erreichte, wurde diese Hoffnung allerdings schnell zerschlagen. Übermotivierte Einsatzkräfte, die unter anderem durch sexualisierte Gewalt gegenüber weiblichen Ultras, sowie Gewaltandrohungen gegenüber vielen weiteren Personen der Reisegruppe auffielen, vollzogen eine menschenunwürdige Kontrolle. Auch bei diesem Spiel sollte die aktive Fanszene nicht im Gästeblock in Hamburg ankommen.
Als Reaktion auf die erneute, stundenlange Kontrolle und der Verwehrung des Stadionbesuchs durch die Polizei entschieden sich davon betroffene Personen, juristisch gegen diese Maßnahmen vorzugehen. Doch nur der Versuch einer Klage scheitert bis heute daran, dass plötzlich keine Polizeidienststelle mehr zuständig sein will und Anwält*innen Probleme damit haben, Einsicht in Polizeiberichte und Akten zu erhalten.
Aufgrund der vorangegangenen Erfahrungen entschloss sich die aktive Szene in diesem Jahr mit Privatautos nach Hamburg zu reisen, um sich in der Nähe des Stadions zu treffen und von dort aus gemeinsam zum Gästeblock zu laufen. Bereits am Morgen in Bremen mussten Teile dieser Gruppe feststellen, dass sie – wie in den vorherigen Jahren – bereits ab ihrer Haustür von Zivilpolizist*innen verfolgt wurden. Ein Großaufgebot von zivilen Polizist*innen fand sich auch im Hamburger Stadtgebiet wieder. Als die ersten Fahrzeuge auf dem gut besuchten Real-Parkplatz im Stadtteil Lurup ankamen und parken wollten, sahen sie bereits Zivilbeamte mit gezogener Waffe und Sturmhaube auf die PKW zu laufen. Nachdem schnell mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei für die alljährliche Derbykontrolle den Parkplatz mit Leuchtscheinwerfern erreichten, war auch in diesem Jahr klar, dass Ultras des SV Werder den Gästeblock nicht erreichen werden.
Dass letztlich nicht einmal ein dutzend vermeintlich gefährliche Gegenstände (wie handelsübliches Pfefferspray oder Schlauchtücher) in den Autos gefunden wurden, kann keine Rechtfertigung für stundenlanges Festsetzen von fast 200 Personen darstellen.
So wird auch im Nachhinein aufgrund der Aussagen des Pressesprechers Timo Zill der Polizei Hamburg klar, dass bestimmte (und rechtlich nicht näher definierte) Gruppen von Fans sich zwingend an die Anreisevorschläge der Polizei halten müssen. Wagen diese Gruppen es dennoch, sich mit Bussen oder privaten PKW im Stadtgebiet Hamburg aufzuhalten, werden diese ohne konkreten Anlass mit allen polizeilich zur Verfügung stehenden Mitteln am Stadionbesuch gehindert und nach Hause geschickt.
Die dreiste Ankündigung auch bei kommenden Derbys nach dem gleichen Muster vorzugehen offenbart erneut ein fragwürdiges Verhältnis der Polizei Hamburg zum Rechtsstaat. Die von Olaf Scholz, Andy Grote und Co verbreitete Propaganda nach dem G20-Gipfel und ihre uneingeschränkte Solidarität mit juristisch und moralisch inakzeptablen Verhalten der Polizeikräfte scheint die Hamburger Polizei in ihrem Vorgehen zu bestärken. Jeder Widerspruch gegenüber der Obrigkeit und jedes nicht-konforme Verhalten wird als drohender Ausnahmezustand interpretiert, dem im Sinne der Gefahrenabwehr nur mit rigorosen polizeilichen Maßnahmen begegnet werden kann.
Wir werden auch in Zukunft nicht die freiheitseinschränkenden und gesundheitsgefährdenden Anreisekonzepte der Hamburger Polizei nutzen und uns auf alternativen Wegen zum Volksparkstadion begeben. Auch wenn diese Art der Anreise aufgrund des massiven Fahndungsdrucks und der Erfahrungen der letzten Jahre konspirativ erfolgen muss, ist sie noch lange nicht illegal.
Our will is unbreakable!
Infamous Youth im Oktober 2017
Siehe auch: