Stellungnahme zum Polizeieinsatz vor dem Heimspiel SV Werder Bremen – FC Augsburg
Am 02.03.2013 kam es am Osterdeich zu einem aus unserer Sicht unverhältnismäßigen Einsatz der Polizei Bremen, den wir nicht unkommentiert lassen wollen.
Auf dem Weg zum Stadion wurde eine 80 Personen umfassende Gruppe von mehreren Einheiten mit Unterstützung der BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) am Weitergehen gehindert und von den Beamt*innen in einen privaten Hinterhof geführt um dort einer umfassenden Personalienfeststellung unterzogen zu werden. Das Laufen auf der Straße, eine Ordnungswidrigkeit, war für die Polizei Bremen der angebliche Anlass für die 90 Minuten andauernde Festsetzung der Gruppe. Für uns bestehen mehrere Anhaltspunkte, welche darauf schließen lassen, dass es sich hierbei um eine geplante Aktion der Polizei Bremen handelte.
Zunächst bewegten wir uns, wie an Heimspieltagen üblich, vom Sielwall in Richtung Osterdeich. Dazu lässt sich sagen, dass der Osterdeich um diese Uhrzeit bereits komplett verkehrsberuhigt ist. Die Wahl des Weges zum Stadion zeigt, dass wir an einem reibungslosen Verlauf des Spieltages interessiert sind. Auf dem Weg zum Osterdeich wurde von den begleitenden Beamt*innen mehrmals zugesichert, dass das Laufen auf der rechten Fahrbahnseite in Ordnung sei. Widersprüchlich zu dieser Aussage ließ sich ein Einsatzfahrzeug der Polizei mit Blaulicht und Sirene in die Gruppe fallen und bewirkte damit das Ausweichen auf die linke Fahrbahn. Bereits vor Ankunft am Osterdeich befanden sich filmende Polizist*innen auf der Straße um die Gruppe ohne jeglichen vorhergegangenen Vorfall abzufilmen. Nach Erreichen des angesprochenen Hinterhofes wurde unsere Gruppe zu einem Zeitpunkt von der Polizei gekesselt, zu dem sich der Personenkreis bereits wieder auf dem Gehweg eingefunden hatte, wobei erwähnt werden muss, dass Einsatzfahrzeuge der Polizei bereits ab 12:30 Uhr von mehreren Personen an dieser Position beobachtet worden sind. Dies lässt darauf schließen, dass auch der Ort der Personenkontrolle bereits im Vorfeld feststand.
Auf die Nachfrage weswegen der Lauf zum Stadion gestoppt wurde, erhielten wir lediglich unvollständige Lautsprecherdurchsagen, die erst nach mehrmaliger Aufforderung mündlich vom Einsatzleiter konkretisiert wurden. Wie bereits erwähnt wurden wir mit dem Tatvorwurf der Verkehrsbehinderung konfrontiert. Um diese Ordnungswidrigkeit zu ahnden, sollten nun unsere Personalien festgestellt werden. Die Personen wurden daraufhin einzeln von den Polizeibeamt*innen in den nicht einsehbaren Hinterhof geführt, um der oben genannten Personalienaufnahme unterzogen zu werden. Hierbei traten Polizeibeamt*innen extrem aggressiv auf, so dass sie teilweise von den eigenen Kolleg*innen zu einem gemäßigterem Umgang ermahnt wurden. Nachdem die gesamte Gruppe auf dem Hinterhof versammelt war, entzogen wir uns der sofortigen Feststellung der Personalien, mit Verweis auf einen herbeigerufenen juristischen Beistand mit dem wir zunächst unser weiteres Vorgehen absprechen wollten. Entgegen unserer Absprache mit dem Einsatzleiter auf den Anwalt zu warten, probierten Polizeibeamt*innen vereinzelt weiterhin mit aggressivem und einschüchterndem Auftreten Einzelpersonen aus der Gruppe zu zerren. Nach 90 minütigem Aufenthalt, währenddem keine Toiletten zur Verfügung gestellt wurden, entschlossen wir uns letztendlich nach Rücksprache mit unserem Anwalt dazu diese Kontrollen über uns ergehen zu lassen, um so doch noch die Möglichkeit zu haben das Spiel zwischen Werder Bremen und dem FC Augsburg zu verfolgen. Im Zuge der Personalienfeststellung, die auch Körperkontrollen und das anschließende Abfilmen beinhaltete, wurden mehrere Personen seitens der Polizei zum Eingeständnis der Ordnungswidrigkeit, sowie zur Abgabe von Telefonnummern gedrängt ohne im Vorfeld aufgeklärt zu werden, dass dies keine Pflicht für Beschuldigte darstellt.
Wie oben bereits erwähnt, fällt es uns unter den genannten Umständen schwer in diesem Einsatz ein spontanes und deliktbezogenes Eingreifen der Polizei zu erkennen. Einer fünfminütigen Verkehrsbehinderung in einer ohnehin verkehrsberuhigten Zone eine großangelegte polizeiliche Maßnahme folgen zu lassen (bei der im Übrigen der Osterdeich für ca. 30 Minuten komplett gesperrt wurde) widerspricht eindeutig dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne des Opportunitätsprinzips. Zudem besteht nicht die Notwendigkeit des Abfilmens von Gesichtern, wenn lediglich das Zustellen eines Bußgeldbescheides im Interesse der handelnden Polizist*innen lag. Vielmehr deutet das Vorgehen auf eine gezielte und im Vorfeld geplante Aktion seitens der Polizei Bremen hin. Anlass hierfür könnten die polizeikritischen Spruchbänder sein, die vor einigen Wochen in der Ostkurve gezeigt wurden; weiter noch liegt die Vermutung nahe, dass die Polizei Bremen mit diesem Einsatz versuchte sich einen personellen Überblick über die aktuelle Zusammensetzung der Bremer Ultraszene zu verschaffen. Wir behalten uns vor gegen diesen Einsatz juristische Schritte einzuleiten.
Abgesehen von dem Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte eines jeden von uns, ist solch ein Vorgehen auch aus gesellschaftspolitischer Perspektive scharf zu verurteilen. So steht die polizeiliche Praxis, wie sie nahezu jedes Wochenende nicht nur von Fußballfans erlebt und wahrgenommen wird, in einem krassen Widerspruch sowohl zur Außendarstellung der Polizei selbst, als auch zu Aussagen der politischen Verantwortlichen, die stets die Deeskalations- und Kooperationsbereitschaft der Polizei beteuern. Vorschläge eines Rainer Zottmanns, der sich in öffentlichen Diskussionen gerne als netter Schutzpolizist von nebenan inszeniert, einen regelmäßigen Austausch zwischen Ultras und der Polizei zu fördern, wirken in Anbetracht der hier geschilderten Realität (wie oben bereits beschrieben kann dieser Vorfall nicht als Einzelfall betrachtet werden) fast schon lächerlich. Diese teilweise demütigende Alltagspraxis der Polizei wird auch das herbeigeredete Sicherheitsproblem des deutschen Fußballs nicht lösen, sondern nur verschärfen. Gerade jüngeren Menschen, die eine engagierte, sich in die demokratische Gesellschaft einbringende Ultrakultur auf der einen und repressive Staatsgewalt auf der anderen Seite sehen, ist ein sogenanntes „gemäßigtes“ Durchsetzen ihrer Interessen kaum zu vermitteln. Solange kein ernsthaftes politisches Interesse besteht fortschrittliche Kräfte innerhalb der Ultraszene zu fördern, wird auch der vielerorts geforderte „Selbstreinigungsprozess“ nicht eintreten, sondern eine Radikalisierung und eine mehr und mehr uneingeschränkte Solidarisierung innerhalb dieser Subkultur wird die Folge sein.
Durch die Vorgänge beim Augsburgspiel fühlen wir uns in unserem Standpunkt nicht mit der Polizei zu kooperieren nur bestärkt.
Infamous Youth und UltrA-Team Bremen im März 2013