VEREINT IM KAMPF – SOLIDARITÄT MIT DEN ANTIFASCHISTISCHEN FUSSBALLFANS IN OSTEUROPA!
Zur politischen und gesellschaftlichen Situation in Russland, Ukraine und Belarus:
Der Aktionstag des antifaschistischen Fußballfan-Netzwerks Alerta! findet im März 2009 zur Situation antirassistischer Fußballfans in Osteuropa statt. Zwei Flugstunden entfernt von uns tobt ein Kampf und es herrscht ein Klima der gesellschaftlichen Radikalisierung und Verrohung, welches an Brutalität seines Gleichen sucht.
Ob Belarus, Ukraine, Russland, Polen oder Südosteuropa: Der Tagespresse kann man nur die Spitze des Eisberges entnehmen. Russland ist hier sicher das krasseste Beispiel. Der jüngste Doppelmord an dem regimekritischen Rechtsanwalt Stanislav Markelov und der Journalistin Anastasia Baburova, die vor allem über rechtsextreme Organisationen und deren Verzahnung mit rechten Fangruppen in der Zeitung „Nowaya Gaseta“ berichtet hatte, ist symptomatisch für die Verhältnisse in Putins Russland. Als Antifaschist ist man beinahe täglich Terror und Bedrohung ausgesetzt. Im Oktober 2008 traf es den antifaschistischen Skinhead und Fußballfan „Fedyaj“ Feodor Filatov aus Moskau, der auf dem Weg zur Arbeit direkt vor seinem Wohnhaus mit gezielten Messerstichen getötet wurde. Alle Betroffenen wissen, dass Putins Behörden nicht das geringste Interesse daran haben, diese Verbrechen effektiv zu bekämpfen und aufzuklären und potentielle Opfer zu schützen . Gleichzeitig radikalisiert sich die Gesellschaft, angetrieben von einer offiziellen patriotisch-nationalistischen russischen Staatspropaganda. Rassismus, Antisemitismus und sozialdarwinistische Denkmuster sind wieder salonfähig und bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Vor dem Hintergrund des Sieges über den Nationalsozialismus 1945 gibt sich Russland offiziell als antifaschistisch. Der Tag des Sieges über den Faschismus wird pompös jedes Jahr am 09. Mai zelebriert. Das die Ideologie des Faschismus und die Gegenwart zahlreicher nationalistisch-faschistischer Organisationen und Parteien jedoch höchst aktuell und präsent in Russland sind, wird bewusst ausgeblendet.
Die politische Situation in den ehemaligen Sowjetrepubliken Belarus und Ukraine ist natürlich unterschiedlich, jedoch ist auch in diesen Ländern die extreme Rechte auf dem Vormarsch.
In Belarus sind ultranationalistische Parteien und Organisationen längst nicht so präsent wie in der Ukraine, was allerdings auf die autoritäre Staatsform zurückzuführen ist. Die Bildung von zivilgesellschaftlichen Strukturen wird in der Regel im Keim erstickt – vor allem alternative Gruppen haben keine Chance auf eine unbehelligte Arbeit.
Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus werden von den ukrainischen Medien, bislang kaum thematisiert, obwohl die Zahl rechtsextremer Übergriffe kontinuierlich steigt. Oftmals werden sie ignoriert oder als „Rowdytum“ bagatellisiert, der politische Hintergrund solcher Taten wird in den meisten Fällen geleugnet. Menschenverachtende ideologisch motivierte Gewalt von rechts wird wie in Russland als „Rowdytum“ (russ./ukr.“Hooliganism“) verharmlost. In Belarus werden rechtsextreme Vorfälle komplett ausgeblendet. Die staatlich gesteuerten Medien bezeichnen Regimekritiker und Oppositionelle als Faschisten und Nationalsozialisten, die Existenz wirklicher rechter Strukturen wird allerdings geleugnet. Das Problem Rechtsradikalismus hat keinen Platz im öffentlichen Diskurs und alternative Versuche, auf die Thematik aufmerksam zu machen, werden gezielt unterdrückt.
Dominanz einer rechten Fankultur
Die Fußballfanszene, die sich vor allem an den Nachbarn Russland und Polen orientiert, wird von rechtsextremen Fans dominiert. Der Einstieg in eine solche Szene erfolgt häufig über rechtsextreme Musik, die oftmals auch einen direkten Fußballbezug aufweist. International existierende neonazistische Netzwerke wie Blood & Honour konnten sich erfolgreich in der Ukraine, Belarus und vor allem Russland etablieren und bilden den subkulturellen Background. Auch im Internet dominieren rechtsorientierte Websites verschiedener Fangruppierungen, die untereinander vernetzt sind. Parallel dazu nahmen extremistische Überzeugungen, gespeist durch Nationalismus, Rassismus und traditionellen Antisemitismus zu, so dass sich sowohl in der Gesellschaft als auch innerhalb der Jugendkulturen rechtsextremes Gedankengut erfolgreich etablieren konnte. Längst agieren neben rechten Skinheads auch Teile der Fanszene als willige Werkzeuge der militanten Rechten gegen MigrantInnen, Menschen jüdischer Herkunft, Andersdenkende, Homosexuelle und gegen alles vermeintlich „Unslawische“.
Aufgrund der nahezu faktischen Abwesenheit alternativer Fankultur konnte sich in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion die Dominanz rechtsextremer Fankultur entwickeln. Die offiziellen Fußballverbände, die zwar die Antirassismus-Paragraphen der UEFA in ihr jeweiliges nationales Regelwerk eingegliedert haben, zeigen jedoch kein ernsthaftes Interesse, den Rassismus in den Fußballstadien wirkungsvoll zu bekämpfen. Eine weitere Schwierigkeit im Kampf gegen Faschismus, Rassismus und anderen Diskriminierungsformen in Russland, der Ukraine und in Belarus ist das Nichtvorhandensein einer funktionierenden Zivilgesellschaft.
Unterstützung antifaschistischer Fußballfans in Osteuropa
Aufgrund der Übermacht der extremen Rechten in den Stadien ist es vielen antifaschistisch orientierten Fußballfans in Russland unmöglich, ihren lokalen Fußballclub zu supporten, bzw. sich mit ihm zu identifizieren. Nicht wenige von ihnen unterstützen daher Vereine wie MTZ-Ripo Minsk aus Belarus, der im osteuropäischen Raum bekannt ist für seine antifaschistisch ausgerichtete Fanszene. Absolutes Ausnahmebeispiel in Russland ist der sibirische Fußballclub Zvezda Irkutsk, dessen Fanszene sich ebenso wie die von MTZ-Ripo gerade macht für ihre antifaschistischen Überzeugungen. In der Ukraine gibt es zwar einige wenige antifaschistisch orientierte Fanszenen, für die es jedoch aufgrund der rechten Dominanz zu gefährlich ist, sich öffentlich dazu zu bekennen.
Sowohl in Russland, der Ukraine als auch in Belarus sind antirassistische Fangruppen, die versuchen, gegen Rechtsextremismus und Rassismus im Fußball aktiv zu werden, auf sich allein gestellt und von Repressionen seitens des Staates und durch die rechte Dominanz in den Stadien bedroht. Hinzu kommt, dass sie von der westeuropäischen Fanszene weitgehend isoliert sind und es bisher vor allem aus Visa-technischen und sprachlichen Gründen schwierig war, stabile Kontakte aufzubauen. Um antirassistische Fußballfans in der Ukraine und in Belarus nachhaltig zu unterstützen, soll diese Isolation durchbrochen werden.
Verglichen mit unseren Kämpfen im westeuropäischen Fußball und auch den Erfolgen, die die antirassistische Arbeit zu verbuchen hat, gleicht der Kampf gegen Rassismus und Faschismus in Osteuropa eher einem Don Quichotte-Kampf gegen Windmühlen.
Gerade deshalb ist es wichtig mit unseren Veranstaltungen in diesem Monat (Aktionen in den Stadien und Kurven, Infoveranstaltungen und Benfit-Parties) und darüber hinaus den wenigen Gruppen, FreundInnen und AktivistInnen in Osteuropa Respekt zu zollen für ihren Einsatz. Wir möchten ihnen Mut machen, den eingeschlagenen Weg konsequent fort zusetzen und ihnen vor allem unsere Unterstützung und Solidarität zukommen zu lassen. Wir werden uns bemühen, unsere Erfahrungen weiter zu geben und die internationale Vernetzung antifaschistischer Fußballfans weiter vorantreiben. Der Kampf gegen Diskriminierung und Faschismus ist international, er kennt keine Grenzen.